bollwerklab 10 – Freiraumrecherche

SAGE

bollwerklab 10

Schlussbericht Freiraumrecherche Andrea Boll, unterstützt von FAchstelle Kultur Kanton Zürich

Natur & Urban, ein bewegender Weg mit Andrea Boll, Melissa Ellberger 

und Weggefährten 2014 / 2015

Das Ziel dieser Freiraum-Recherche war es, das Potenzial des Tanzes im Freien, in der Natur, in urbanen Gegenden, dem öffentlichen Raum und in ungewöhnlichen Räumen zu erkunden, neue Wege für den Tanz zu erforschen und zu konzipieren und davon ausgehend eine spezifische Bewegungssprache zu entwickeln: Ein Tanzidiom, das sich an die Umgebung anpasst, sie aufnimmt, reflektiert, ergänzt und bereichert, dass Deutungsmuster offen legt und diese durch tänzerische Aussagen verändert. Es entstand, wie angestrebt, eine Datenbank von spezifischem, choreografischem Material. 

Mit der Zeit kristallisierten sich drei Kategorien heraus, in die sich das Material einordnen lässt. Diese Kategorien sind gleichzeitig auch die gewählten Umgebungen: auf einem Hügel oder einer steilen Strasse (downhill), am Flussufer und im Fluss (downriver) und in der Stadt (downtown). Die Einteilung in diese Kategorien entstand aus den perspektivischen und inhaltlichen Möglichkeiten heraus, die diese drei Umgebungen für Choreografie zu bieten haben. Bei ‘downhill’ und ‘downriver’ entsteht eine völlig andere Zeiterfahrung als im Theaterraum. Es scheint zum Beispiel, dass der Mensch sofort und ohne Umschweife bereit ist, Zeit verstreichen zu lassen und sich Zeit zu nehmen, sobald er sich in der Natur befindet. Somit bleiben einzelne Aktion über einen viel längeren Zeitraum spannend. Ein Hügel, der auf den Horizont trifft, gibt ein Gefühl von Weite und Unendlichkeit. Alles, was darauf passiert steht, Symbol für das Tun und Lassen des Menschen an und für sich. Ein Mensch, der sich gegen die Strömung eines Flusses stemmt und an dessen Körper sich das Wasser bricht, entfacht in statischer Haltung eine kraftvolle Dynamik. ‘downtown’ dagegen lässt die Zeit schrumpfen, ist voll von unausweichlichen und konstanten Einflüssen, die auch die standhafteste Choreografie zu einer ‘instant choreography’ machen. Basierend auf den Erfahrungen mit diesen drei Umgebungen, konnte ich das Konzept für die Vorstellungstouren ‘downhill downriver downtown’ entwickeln. UnterstützerInnen, Spielorte und Partner konnten gefunden  werden. Die Freiraumrecherche (bollwerklab 10) bot eine optimale Vorbereitung und konnte inhaltlich, organisatorisch, und Lokalitäten-logistisch, für die nachfolgende Trilogie downhill dwonriver downtown dein stabiles Fundament bauen.

Melissa Ellberger konnte wegen Schwangerschaft und Mutterschaftsurlaub nicht wie vorgesehen, ihrerseits in der Romandie recherchieren. Wohl fand im Juli 2014 ein Treffen in halle.li und auf einem “Übungshügel” in Oberengstringen-ZH statt, bei dem wir mögliche Zuschauerperspektiven für ‘downhill’ näher untersuchten. Daraufhin habe ich ein Kurzszenario von dem bereits erarbeiteten downhill-Material geschrieben. Dieses Szenario habe ich dann zusammen mit dem Tänzer Ivan Blagajcevic, an einem sonnigen Nachmittag ausgeführt und Kameramann Peter Kadar hat gefilmt und aus dem Videomaterial die Kurzfilmstudie ‘downhill’ realisiert. Die Kameraführung kann als möglicher Publikumsblickwinkel gesehen werden:

http://vimeo.com/107707015 password: downhill

Dieser Kurzfilm wurde mit weiterem Material, dass während dem Freiraum entstand in halle.li, dem Arbeitsort von bollwerk, zweimal gezeigt: im Oktober 2014 als bollwerklab 10, auf sich stehend und im März 2015 im Rahmen von ‘hold the line, please’ einer Ausstellung von den halle.li – Künstlern, initiiert und kuratiert von Salome Kuratli, Maya Minder und David Morrison. Diese Ausstellung war ihrerseits wiederum Teil der Ausstellungsaktion Linie 31.

Zwei weitere Treffen mit Melissa fanden im August 2015 in Villar Sur Ollen (Bergregion im Kanton Genf) und während einer Kurzresidenz im Studio von Gilles Jobin in Genf statt. Villar Sur Ollen haben wir als möglichen Ort für eine downhill-Tour untersucht. Bei diesem Treffen war auch die Dramaturgin Moos van der Broek dabei, die half den künstlerischen Diskurs betreffend der Gesamtidee zu strukturieren. Basierend auf den Notizen von diesem Treffen, habe ich dann später das Dossier ‘downhill downriver downtown’ geschrieben. Am Schamserberg im Graubünden habe ich ausserdem im Januar 2015, das downhill-Material im Schnee ausprobiert und zusammen mit Peter Kadar, die filmischen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten versucht zu erfassen. Dies in Bezug auf das Entwickeln eines Filmszenarios zu ‘downhill downriver downtown’ zu einem späteren Zeitpunkt. 

Weiter habe ich ausgiebig experimentiert und recherchiert mit Materialen (Äste, Wasser, Steine, Mauern, Gras) sowie mit Kleidung und Schuhen. Diese Materialien werden nun zu Requisiten, Kostümteilen, Schutz für den Körper und erzeugen Klangkulissen und Statements in den Vorstellungstouren ‘downhill downriver downtown’. 

Mit den TänzerInnen Ivan Blagajcevic, Diane Gemsch und Berit Jentzsch, habe ich wie geplant gearbeitet um die choreografische Datenbank zu testen und zu reflektieren. 

*Die Social-Software-Touren «natürlich wahnsinnig» und «wahnsinnig urban», die in der Freiraum-Anfrage erwähnt werden, haben eine etwas andere Realisierung erfahren, dann ursprünglich geplant: Bereits kurz nach Anfang des Freiraums hat sich herausgestellt, dass solche Touren bei Veranstaltern auf Interesse stossen. Zürich tanzt 2015, sowie das neue Festival Young ID Zug buchten Vorstellungstouren, bei denen die Interaktivität mit den TeilnehmerInnen im Vordergrund steht. So konnte eine ‘preview’ von ‘downtown’ in Zürich tanzt 2015, gleich anschliessend an den Freiraum realisiert werden. Die Vorbereitungen dafür liefen überlappend mit der Freiraum-Periode. Young ID Zug ging dazu über, statt Social-Software-Touren gleich die Vorstellungstour ‘downtown’ zur Festivaleröffnung und Vorstellungstouren für Familien und Kinder unterschiedlicher Altersstufen zu buchen (11.-13. Sept. 2015). Zusätzlich habe ich ein Social-Software-Touren-Konzept für Jugendliche beim Blickfelder Festival eingereicht. Leider wurden diese Touren nicht ins Programm aufgenommen. Angesichts dieser Entwicklungen und Möglichkeiten habe ich beschlossen, während der Freiraum-Periode nicht noch zusätzliche Social-Software-Touren selber zu veranstalten. Stattdessen habe ich ein Outdoor – Trainingskonzept für professionelle TänzerInnen ausgearbeitet, dass nun während der Produktionszeit gratis angeboten wird und dass ich in mein Unterrichtsangebot für Profis und Laien aufnehme. 

Die Frage nach der Organisation des Publikums und das Ansprechen von potenziell interessierten TeilnehmerInnen (Weggefährten), tauchte während dem Freiraum immer wieder auf und gab schliesslich Anstoss zu einer crowdfunding- Kampagne, die im Mai 2015 erfolgreich realisiert wurde. wemakeit: https://wemakeit.com/projects/downhill-downriver-downtown

Auch konnte ich ‘nahreisen’, die seit einigen Jahren regelmässig themenspezifische Touren im Kanton Zürich organisieren, dafür interessieren, eine Zusammenarbeit in der Zukunft anzustreben. Ausserdem konnte ich die nötigen Ämter ausfindig machen für das Einholen von Bewilligungen für zukünftige Touren und Veranstaltungen im öffentlichen Raum. Es scheint dies ein nicht zu unterschätzender und zeitaufwendiger Aspekt zu sein.

Alles in allem bot mir der Freiraum die nötige Zeit um zu probieren, Lokalitäten zu suchen, die künstlerischen Ideen zuzuspitzen, sowie (potenzielle) Partner und UnterstützerInnen für zukünftige Vorstellungstouren zu finden oder erste Kontakte zu legen.